TheaterPACK
© Leipziger Volkszeitung, 9. März 2015

Psycho olé: Der blanke Wahnsinn im Laden auf Zeit

Von Eva Finkenstein

"Und wenn ich am Abgrund steh, sing ich: Psycho olé!" Herrmann van Hinthen (Patrick Passehr) begrüßt das Publikum zum "Varieté des Wahnsinns". Als Showmaster führt er am Samstagabend im Laden auf Zeit in der Kohlgartenstraße durch humorige Abgründe von absurd bis wahnwitzig, die hier von Absolventen der Mainzer Clownsschule als "Atelier Dreipunkt" aufgetan werden.
Ausgangspunkt: die Feststellung, dass Wahnsinn keineswegs die unangemessenste Reaktion ist auf die Absurditäten und Sinnlosigkeiten des Lebens. Konsequent illustriert das die Clownin Elvira Schlegel und schafft handfeste Tatsachen: Love hurts? Love kills! Zwängt sich in ein viel zu enges Kleid, fängt beim Anblick des geliebten Objekts an, wie von allen guten Geistern verlassen zu zwitschern, bricht bei der Abfuhr in Tränen aus - Selbstaufgabe in Pantomime. Schließlich der Wandel von masochistischer Einschmeichelei zu kraftvoller Aggression, bis der imaginäre Geliebte ausgekichert hat.
Interessant, wie die Rolle des Clowns mit den klassischen Attributen bis zur Nase hier das Leben einer jungen Frau eingehaucht bekommt. Überhaupt die Paarthematik, im komödiantischen Bereich oft von Stereotypisierungen geplagt, sie kommt auch hier nicht zu kurz. Hermann van Hinten und Jack (Julian Nort) stellen über pantomimisches Gassigehen und andere Schikanen, die Partner einander auferlegen, das Erfolgsrezept von Beziehungen fest: Einer tut, was der andere will. Der Charakter Jack, grenzdebil, amerikanischer Akzent, unberechenbar, überrascht mit wilden Assoziationen von Zootieren bis Forrest Gump beim Shrimpsfang, übt sich in Slapstick, Steppen und Beatboxen.
Das hat oft skurrile, groteske Züge und ist schön in seiner Hemmungslosigkeit. Absolut gehemmt dagegen, verhuscht-nerdig kommt Emil (Sebastian Utecht) in nostalgischem Anzug und Birkenstocklatschen daher: Die betonte Nicht-Rampensau wird von Passehr alias Hermann van Hinten aus der Defensive geschubst und erhält für eine Aktentaschen-Jonglage-Nummer viel Zuspruch seitens des Publikums.
Der Moderator selbst bestreitet mit seinen sarkastischen Liednummern den Löwenanteil der Show, wobei er zynisch-bissig Wohlbekanntes aufs Korn nimmt ("Wenn Mutti früh zur Arbeit geht"), für die Liebe zu einer Gummipuppe in die Bresche springt und für den Suizid. Dabei wird es durchaus moralisch, wenn "Meine Freiheit ist nicht deine Freiheit" gesellschaftliches Ungleichgewicht kritisiert. Am Ende integriert eine rhetorische Frage alle Fäden der Verrücktheiten und Irrationalitäten: "Sind wir nicht alle ein bisschen wahnsinnig?" So weit, so gut, mündet diese Erkenntnis in ein lebensbejahendes Fazit: "Seid dankbar für alles, was ihr spürt, was ihr in euch tragt... auch für Harnwegsbeschwerden". Ah ja. Psycho olé!